Im Nachgang zu den rauschenden Sportsommerfestivitäten in Paris, aber auch mitunter bei der EM in Deutschland, wurde mir ganz persönlich nochmal bewusst, welche Kraft der Sport hat, Sportevents haben, wenn man ihnen den „richtigen“ Rahmen gibt. Getriggert oder konterkariert wurde diese Erkenntnis und was man nun individuell damit anfangen solle, außer sich in der nächsten Olympiabewerbung zu verheddern, durch die jüngsten Diskussionen um Tennisturniere oder eSport Events in Saudi-Arabien und die begleitende Empörungskultur.

Heraus gekommen ist dieser geradezu politisch geratene Blogbeitrag. Ein Beitrag als Plädoyer für das eigene, ganz individuelle Aktiv-werden für „the good of the game“ und die Moral und Ethik des Sports im Lichte geo-sport-politischer Diskussionen und Differenzen.

Aber der Reihe nach und vorweg klar gestellt:
Der Publikums-Sport (medialisiert, kommerziell, professionell…) der letzten 50 Jahre ist vor allem geprägt von ganz großen und tollen Emotionen, ganz viel Identifikation und gemeinschaftlichem Erleben. Wunderbar! Aber – das darf dabei nicht außer Acht gelassen werden – dieser Sport ist auch geprägt von Egoismen, politischen und geopolitischen Interessen, mitunter enthemmter Vermarktung und einem unaufhörlichen Schneller-Höher-Weiter fast ohne Rücksicht auf Verluste.

Das bemerkenswerte an dieser punktuell auch zugespitzten Erkenntnis ist, dass in unseren Gefilden insbesondere die politischen und geopolitische Interessen und deren Folgen, erst seit wenigen Jahren, allenfalls zwei Jahrzehnten, wirklich auf- und missfallen und in Teilen der Sportwelt hinterfragt werden. Stets lauter und mitunter auch mit gutem Grund, wenn es in den arabischen Kulturraum geht und ging zuletzt, punktuell, wenn es China betraf und irgendwie seltsam leise noch damals als man in Sotchi Hof hielt. Denn der Sport als Instrument der Politik i.S. der Proklamation von Überlegenheit nach außen und innen co-existiert eigentlich seit vielen Jahrzehnten und schon vor der WM in Katar oder dem saudischen Geldregen auf die Sportweltverbände eben weitgehend unkommentiert neben dem Sport als Idealbild vom fairen Miteinander und universelle Sprache der Weltjugend. Wir oder Teile „des Westens“ und seiner Demokratien, mahnen zwar nunmehr öfter mal eine Rückbesinnung auf eine Ethik im Sport an. Aber die heutigen Mahner ignorieren gerne die eigene Vergangenheit, die einem eigentlich den erhobenen Zeigefinger weich werden lassen sollte.

Es wird „bei uns“ gern vergessen, dass der Sport als Mittel der Politik bzw. Sport in gänzlicher Ignoranz der Politik, bereits spätestens mit der Fußball WM in der Militärdiktatur Argentiniens im Jahr 1978 in ganz neuer Nachkriegs-„Pracht“ erblühte. Übrigens eng verbunden mit dem Aufstieg der FIFA zu einem big player der globalen Sportpolitik unter einem später der Korruption überführten Präsidenten Havelange. Alles auch in einer Zeit, in der Akteure wie der IOC-Präsident Samaranch (bekennender Franco-Anhänger) oder sein Vorgänger Brundage (Antisemit und Bewunderer der Nationalsozialisten) längst etablierte Macher der Branche waren. Also Obacht, wenn wir, wenn „der Westen“, heute den Zeigefinger erheben, ohne sich unserer Ziehsöhne wie Brundage (ein Amerikaner) oder Samaranch (ein Europäer aus Spanien) angemessen zu erinnern. Umtriebe anderer Großsportverbände unter europäischer Führung in den letzten Jahren seien hier noch gar nicht mit eingerechnet.

Entbindet diese mitunter fast fünfzigjährige Kollektivschuld der Neuzeit gegenüber vielen Werten des Sports nun von einer Re-Fokussierung auf die Moral im Sport und im Sportbusiness? Ganz im Gegenteil! Sport ist nicht möglich ohne ein friedliches Miteinander auch im Gegeneinander und jedwedes Regelwerk des Sports basiert auf Werten, die im Grunde die Basis jeder Demokratie sind wie Gerechtigkeit, Solidarität oder die Gleichheit aller Athleten unabhängig von Herkunft, „Rasse“, Geschlecht oder Religion. Diese DNA des Wettkampfsports ist älter als politischen Systeme und verträgt sich aus sich selbst heraus nicht mit Diskriminierung, Unterdrückung, Gewalt und Korruption.

Aus dieser Erkenntnis eigner „Versäumnisse“ und den vielen frischen schönen Eindrücken dieses Sportsommers in Deutschland und Frankreich resultiert zunächst ein Auftrag sich ehrlich zu machen. Gegenüber der eigenen Vergangenheit, genauso wie gegenüber denen, die die Werte des Sports mit Füßen treten. Vor allem aber auch ein Auftrag an „uns“ sich den Sport zurückzuholen. Die Ethik im Sport hoch zuhalten obliegt uns nicht nur im Ermahnen korrumpierbarer Organisatoren und ihrer Funktionäre oder der dahinter stehenden totalitärer Systeme alleine, sondern vielmehr auch indem wir uns z.B. im Ehrenamt engagieren, in Bildung und Bewegungskultur investieren, indem wir uns Sportgroßveranstaltungen wieder zu eigen machen, sie feiern und lieben wie in Paris oder den EM-Fan-Zones oder vielleicht auch einmal Sponsoring-Gelder aus zweifelhafter Quelle ablehnen, um so eben nicht den „anderen“ das Spielfeld zu überlassen und zu bejammern, dass diese „anderen“ die Deutungshoheit über den Sport erlangt haben wider der guten Werte. Meines Erachtens führt das deutlich weiter, als anderen Kulturräumen und Ländern, und seien sie noch so anders, undemokratisch, autoritär, ohne echte Publikumssportkultur, pauschal absprechen zu wollen, dass sie sich Sportgroßveranstaltungen zu Eigen machen. Denn das ignoriert leider die Macht des Geldes. Am Ende kann aber die Macht der positiven Emotionen als „unsere Währung“ stärker sein als der schnöde Mammon. Vielleicht und hoffentlich war Paris 2024 hierfür ein Reminder und Impuls. Nicht mehr und nicht weniger.