Die ZEIT, wie meistens klug und vorausdenkend, titelte 2013: „faul und schlau (…) die heute 20-30 Jährigen haben wenig Lust sich zu Sklaven ihrer Jobs zu machen“.
Auch die BILD stand dem nicht nach und ergänzte immerhin 2016 bereits, ebenso wie immer weniger klug und vorausdenkend: „Das will die Generation Z – nicht viel arbeiten!“

Heute, 2024 – und nach Corona – schreiben, reden und diskutieren natürlich alle und andauernd über vermeintlich neue und alte Arbeitsmoral, new Work, die 4-Tage Woche, das Home Office, Workation und vieles mehr. Und meistens wird der Ruf nach neuer Arbeit der Gen Y und Z „in die Schuhe geschoben“, fälschlicherweise.

Dem Spiegel war dies letztes Jahr einen Titel wert mit dem Aufreißer: „Wir machen uns nicht mehr kaputt! Warum die Generation Z anders arbeiten will und damit jetzt alle ansteckt!“ Ob das „Anstecken“ grade mal 6 Monate nach dem letzten Pandemiewinter damit eine bewusst gallige Konnotation haben sollte, man weiß es nicht.

Und die Politik, nicht nur rechts der Ampel, ereifert sich ohnehin, dass „…Bürgerinnen und Bürger mehr Leistungswillen zeigen müssen.“ Bundesfinanzminister Christian Lindner vorneweg auf dem Weltwirtschaftsgipfel 2024: „Zur Stärkung der schwächelnden Wirtschaft braucht es in Deutschland mehr Leistungsbereitschaft. Wir müssen über mentalitätspolitische Standortfaktoren sprechen“.

Deshalb vorab einige Gedanken zur Mentalität von Arbeitnehmern und wie Stapel-Krisen und bedingungslose Leistungsbereitschaft, Committment und Loyalität zusammenhängen.

Es gibt m.E. vor allem historische gute Gründe, auch vor und unabhängig von Corona, warum viele Menschen am Arbeitsethos des letzten Jahrtausends zu zweifeln begannen und heute gelassener und selbstbestimmter, statt vor allem demütig, auf den Arbeitsmarkt, Arbeitgeber, Vorgesetzte blicken.

Viele Arbeitnehmer, und ihre heranwachsenden Kinder, sahen spätestens 2002, in der sog. dot-com-Krise, wie weit die Loyalität vieler Arbeitgeber reichte, nämlich bis zum nächsten Quartalsbericht. Angestellte adaptierten seit 2002 dann fortwährend, dass vielleicht nicht immer erst sie Committment, Einsatz und Engagement zeigen müssten, sondern, dass man genau das durchaus auch erst mal beim Arbeitgeber abfragen sollte. Die Finanzkrise 2008 und allerlei Stapel-Krisen seit 2020 haben diesen Lerneffekt sehr sicher noch verstärkt und der Emanzipation der Arbeitnehmerschaft den Weg geebnet.

Mit der zunehmenden Entkoppelung der Finanz- von der Realwirtschaft, galoppierender Inflation, zerbröselnder Festgeldkonten und explodierenden Immobilienpreisen, kam dann wohl der endgültige Beschleuniger für diese Erosion des Gottvertrauens in stabile Karrierepfade und Wohlstandsaufbau. Millionen mussten sich die Frage stellen: „Wofür das alles?“. „Schaffe, schaffe, Häusle bauen“ war (in fast allen Ballungsräumen) vorbei und verkümmerte zu „schaffe, schaffe, mit Ach und Krach noch die Miete zahlen (in München und Frankfurt und neuerdings auch in Berlin…)“.

Die Suche nach neuer Arbeit und Sinn, ist also kein Corona-Phänomen allein oder das Hirngespinst junger Menschen, sondern das Ergebnis einer Entwicklung der letzten ca. 20 Jahre.

Neuer Arbeit das Leistungspotential abzusprechen und die Jungen „verantwortlich“ zu machen ist also ein Denkfehler und ignoriert viele gute Gründe für das Umdenken. Oder andersrum: können die Boomer denn auch die 45-Stunden-4 Tage-Woche?

Der Verweis auf den Niedergang des Wirtschaftsstandorts im globalen Wettbewerb im Zuge „neuer Arbeit“, oder in den Augen der Bedenkenträger, neuer Arbeit und weniger Kontrolle, unterstellt nun einer ganzen Gesellschaft Faulheit, ignoriert aber vor allem die Kapazitäten digital sozialisierter, mündiger Arbeitnehmer und insbes. nachrückender Fach- und Führungskräfte.

Anschluss zu halten, wird nicht in Arbeitsstunden gemessen, sondern mit den Fähigkeiten sich zu verändern. Und für viele ist eher Entgrenzung ein Problem als zu wenig Arbeit. Kein Wunder also, wenn eine always-on Generation sich auch fragt, wieso man die 40-50 h nicht auch in 4 Tagen abreißen kann statt in 5. Ohne Pendelzeiten, Kaffeepausen und Statusmeetings mit dem Boomer-Chef. Die 5-Tage-38-Stunden-Woche im Büro von Montag bis Freitag passt für eine digital sozialisierte, vernetzte Arbeitnehmerschaft vielleicht ja durchaus leicht und locker in andere Arbeitsmodelle?

Und ganz nebenbei: im Hinblick auf die Versäumnisse der New-Work-Mahner-Klientel bei der Digitalisierung, der ökologischen Wende, dem Umbau von Mobilität, dem Ausbau des Bildungswesens, fehlgeleiteter, weil von Rassismus geprägter, Migrationspolitik, hinterherhinkenden Frauenerwerbsquoten auch im Zuge allgemeiner Betreuungsnotstände u.v.m., liegen doch einige Hausaufgaben doch vielleicht noch bei bei denen, die aktuell im Kontext neuer Arbeit bereits schon wieder die „Jungen“ ins Visier nehmen. Oder, Hr. Lindner? Auf- und Zu-Schieberei auf „ein später mal“ hat ja schon bei den Klimazielen nicht funktioniert bzw. musste vom Bundesverfassungsgericht eingefangen werden.

Deshalb: „Love it or leave it“ oder „wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“ (5 Mark ins Phrasenschwein).

Wenn also allein über die Demographie binnen der nächsten 10 Jahre 4-5 Mio. Arbeitskräfte fehlen, es also in allen Branchen knüppelharte Bewerbermärkte geben wird, wieso sollten dann nicht alle emanzipierten Arbeitnehmer heute schon nach guten Arbeitsbedingungen, Zeitsouveränität, Flexibilität und Selbstbestimmung suchen und sich ihren Arbeitgeber danach aussuchen?

Wer (die Arbeitnehmer) kann, der kann und sollte es auch tun. Dagegen anzuhetzen, mag in den Untiefen politischer Gesinnung verfangen, ist aber schlicht und einfach am Markt vorbei.

Die Grundüberlegung mit der wir alle „neuer Arbeit“ begegnen sollten, sollte wohl grundsätzlich eher die sein, dass eine offene Gesellschaft und unsere starke Volkswirtschaft zeitgemäße Rahmenbedingungen schaffen kann und muss, in der ein Morgen gestaltet wird, statt einem Gestern und Vorgestern der Industrialisierungswunder und der Nachkriegsjahre nachzutrauern.

Andere Arbeit gilt es anzunehmen und anzugehen, statt sie zu verteufeln. Denn Weggehen werden das neue, das andere Verständnis von Arbeit nicht, egal wie laut wer auch immer schreit.

Und vielleicht fangen wir dann auch an über die vielen Chancen von flexibler Arbeit, digitaler Netzwerke, von Work-Life-Balance und Gesundheit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, neuen Freiräumen für Innovationen, Quality statt Quantity time im Büro u.v.m. zu sprechen.